Was Thelema betrifft, wird man, wie dargelegt, oft mit der Gleichsetzung "Thelema-Liber al vel Legis - Aleister Crowley" konfrontiert.
Dazu schrieb ich ja bereits in obigen Beitrag:
"Sowieso, die Gleichsetzung der Person Aleister Crowley mit Thelema ist so ein Punkt, der immer wieder falsch interpretiert wird. Er war zwar der Prophet des Neuen Aeons und somit von Thelema, schon allein durch die Niederschrift des Liber Al vel Legis, aber weder hat er jemals behauptet, dass er genau wüßte, was er da "verbrochen" hat, noch hat er jemals verlangt, dass man ihm folgen sollte. Thelemiten akzeptieren lediglich das Liber Al als Das Gesetz des Neuen Aeons!Es ist nun mal so, dass ein jeder, der sich Thelemit nennt, die Offenbarungsschrift, Das Gesetz, wie wir es nennen, akzeptieren muss. Wie er sie nun für sich deutet ist allerdings jedem selbst überlassen, also höchst eigene Privatsache. Und damit eben auch geprägt von seiner höchsteigenen Spiritualität.
Sie sind eben keineswegs samt- und sonders Crowley-Jünger, die in ihm ihren Guru sehen. Es gibt da welche, und die haben meiner Meinung nach einen Sprung in der Schüssel, und Uncle Al würde mir da beipflichten, es gibt auch Crowleyaner, die was der Mann geschrieben und gesagt hat, klasse finden, aber genauso viele Thelemiten lehnen die Privatperson als solche rund heraus ab.
Der Privatmensch Edward Alexander Crowley ist nicht zu verwechseln mit demjenigen, der zum Teil Werke geschrieben hat, die, meiner Meinung nach, seiner Zeit weit voraus waren. Er lebte sein Thelema, wie ich das meine, und -zig tausend andere Thelemiten eben das ihre. Alles Wahre Willen, die ihr großes Werk vollbringen. Ihres, nicht das eines anderen. "
Genau das ist der Punkt, wo ich noch einmal ansetzen möchte.
Obwohl es sich also, wenn man denn davon ausgeht, dass Thelema auch eine religiöses Konzept darstellen kann, dabei um eine sogenannte Offenbarungs-Religion handelt, und damit, wenn man mal den Terminus "Gott" gegen "Höheres Wesen" austauscht, durchaus in diesem einen Gesichtspunkt mit den abrahamitischen Religionen, aber auch dem Hinduismus in einer Reihe genannt werden könnte, so ist es eben auch ein von der persönlichen Interpretation eines höchst kryptischen Textes, der persönlichen Parallelen, die man dazu ziehen möchte und, was am wichtigsten ist, wie ich finde, durch ureigenes Erfahren und Erleben geprägtes Konzept.
Und damit bewege ich mich mal weg von speziellen Religionen, Weltanschauungen und Philosophien, hin zum Kern meines Problems.
Nur, weil es da nun ein Buch gibt, heißt das noch lange nicht, dass jemand, der es liest auch weiß, wie die einzelnen Menschen, für die es wichtig ist, dieses als Individuen für sich interpretieren, wie und in weit es ihren Glauben beeinflusst oder wie sie handeln und leben.
Es ist eben dieses Festnageln auf Schrifttum, egal welcher Art, ob nun Liber Al, Bibel, Tanach und Talmud, Koran, Veden, Avesta oder auch eben Edda und weiß der Himmel was noch. Selbst reine Erfahrungs-Religionen wie beispielsweise der Buddhismus sind davor nicht sicher.
Verfügt ein religiöses Konzept oder eine Weltanschauung über schriftlich fixierte Offenbarungen, aber auch Geschichts-, Sprüche- oder Legendensammlungen, also schriftliche Aufzeichnungen jedweder Art, dann liegt es nahe, sie als feste Definition des Glaubens zu nutzen.
Es sind aber eben keine "Gebrauchsanleitungen", die einem wortwörtlich eine Schritt-für-Schritt-Anweisung geben, so und nicht anders solle es gemacht (geglaubt, gedacht, gefühlt) werden. Und ganz sicher kein spiritueller Arbeitsvertrag.
Nun weiß man ja gemeinhin, wohin das Wortwörtlich-Nehmen religiöser Aufzeichnungen seitens Gläubiger führt. Fundamentalismus. Und der ist nun leider nicht nur in den abrahamitischen Religionen zu finden. Häufig zu recht kritisiert, führt er doch weg vom lebendigen Glauben, hin zu einem meist starren, einengenden Korsett überkommener Zeiten.
Aber mir geht es hier weniger um die Nutzung von Überlieferungen zur Selbstdefinition, sondern eben um die Definition von Außen...obwohl...eigentlich um beides.
Hat sich jemand schon einmal Gedanken gemacht, warum selbst für den Begriff "Religion" keinerlei wissenschaftliche allumfassende Festlegung existiert? Die Bandbreite der Komplexität der verschiedensten Erscheinungsformen, nicht zu vergessen das Zusammenspiel von sozialen und kulturellen Aspekten, die da hineinspielen, die eine solche abdecken müsste, um ein wenigstens annähernd gültiges Einvernehmen zu erzielen, wäre einfach zu groß.
Auch das weite Feld der Philosophie steht vor demselben Problem. Es gibt nicht die Philosophie, sondern eine Vielzahl von Erklärungsversuchen zur Existenz und dem Sinn des Daseins über tausende von Jahren, die teilweise aufeinander aufbauen, sich aber eben auch teilweise eklatant widersprechen. Es geht um Wahrheitssuche durch den Logos, der Vernunft, im Gegensatz zum Ansatz der Religion, die ihre "Wahrheit", ihre Weisheit, meist aus einem Mythos bezieht, obwohl es da eben auch Überschneidungen gibt.
Hinzu kommt, dass man ja nicht einmal genau sagen kann, was "Glauben" eigentlich ist. Eine Annahme, eine Vermutung, im Gegensatz zur Gewissheit?
Aber ich weiß, weil ich es er-lebe...! Für mich ist es keine Wahrscheinlichkeitsvermutung, sondern Teil meiner Wirklichkeit, da ich es empfinde...
Und nun?
Selbst der oft in diesem Zusammenhang benutzte Begriff der Spiritualität ist nicht wirklich fest definiert, abgesehen davon, dass er oft zu einem reinen Kampfbegriff verkommt, der vom rein geistigen bis hin zu eben der Hilfsvokabel für "Glauben, aber mehr als glauben" alles abdecken soll.
Denn Religiosität, Spiritualität, Glauben, ist eben etwas was weit über den bewussten Vorgang des Denkens hinaus geht.
Es ist, wenn man sich dafür öffnet, auch ein Rausch der Sinne, vergleichbar mit dem ersten Biss in ein Stück köstlicher, sahnige Torte.
Wow, himmlisch!
Erst nach diesem ersten rein gefühlsmäßigen Erfahren setzt dann das Reflektieren, das Denken ein:
Das Herausschmecken der einzelnen Zutaten, das Trennen von Zucker, Sahne, Boden, und waren da nicht Erdbeeren und eine Spur von Vanille und vielleicht ein Hauch von Mandeln und Marzipan?
Dann wird man höchst wahrscheinlich nach dem Rezept fragen oder es suchen, um sich zu vergewissern, ob seine Empfindungen richtig waren. Möglicherweise wird man dabei dann feststellen, dass man eine oder mehrere der Zutaten eigentlich gar nicht mag. Trotzdem wird man die Torte möglicherweise nach backen. Vielleicht ersetzt man dabei einfach die ungeliebte Zutat gegen etwas, was man mehr mag. Das Ergebnis wird sich zwar von der ersten Torte unterscheiden, aber doch sehr nahe am Ausgangsgeschmack liegen, vielleicht besser oder vielleicht auch nicht ganz so gut schmecken, aber das Erfahren des ersten Bissen dieser eigenen Kreation wird wieder eine Sinneserfahrung. Vielleicht komme ich dann sogar auf den Geschmack und experimentiere weiter mit den unterschiedlichsten Zutaten, um immer neue Kreation zu schaffen und meine Sinne immer wieder aufs Neue anzuregen.
Dann gibt es noch die Möglichkeit, dass man sich genau ans Rezept hält, obwohl man eine Zutat ablehnt, sie vielleicht auch gar nicht verträgt. Das kann auch gut klappen, auch wenn man dafür Nebenwirkungen in Kauf nehmen muss. Es kann aber auch dazu führen, dass man entweder den Sinnesrausch vom ersten Tortengenuss vermisst - weil man ja weiß, was jetzt so alles in dem Kuchen drin steckt - oder aber sich irgendwann an den Geschmack so sehr gewöhnt, dass man gar nicht mehr nachvollziehen kann, was das denn gewesen sein könnte, dass beim "ersten Mal" so berauschend gewesen ist.
Und dann kann es noch passieren, dass einem, wie man es auch für sich nun handhabt, jemand daher kommt und einem anhand des Grundrezepts erklären möchte, warum die Zutaten genau diesen Effekt auslösen oder er der Meinung ist, dass man mit diesen Zutaten überhaupt gar nicht zu diesem Ergebnis kommen kann.
Möglicherweise gerät man auch an einen Ernährungsberater, der darüber doziert, wie schädlich die Torte doch ist: Zuviel Fett, zuviel Zucker, zuviel weißes Mehl und diese oder jene Ingredenz steht in dem Verdacht Allergien oder gar Krebs zu verursachen.
Ein Vegetarier oder Veganer wird sich auch darüber auslassen, was er alles an dem Rezept ändern würde, damit die Torte seiner Einstellung entspricht.
Oder aber, jemand wedelt mit dem Ausgangsrezept und regt sich tierisch darüber auf, dass man sich daran nicht gehalten hat und es abgewandelt hat, so dass es sich dabei gar nicht mehr um eine, meinetwegen, "Erdbeer - Marzipantorte" handelt.
Meine Auffassung dazu ist, wenn jemand die Torte denn anders oder besser hinzukriegen meint, er dies doch bitte tun möchte und wenn ihm meine nicht behagt, er sie ja nicht zu essen braucht. Er soll nur mir bitte meinen "Sinnesrausch" lassen, wie ich ihm wünsche, dass er für sich etwas ähnlich köstliches findet. Geschmäcker sind halt verschieden!
Aber wenn er mich bei jedem Happen meiner, meine Sinne betörenden, fluffigen, sahnig-cremigen Tortenkreation permanent mit seinem Gesabbel mein kosmische Erlebnis versaut, dann muss er sich nicht wundern, wenn ich ihn irgendwann anschreie:
"Halt's Maul und schau aus dem Fenster!"
Wem jetzt bei dem ganzen Tortengerede das Wasser im Munde zusammen gelaufen ist und nun so schnell wie möglich in die Küche gehen möchte, um selbst eine zu machen, dem wünsche ich dabei viel Spass und einen guten Apetitt.
Aber nicht vergessen, mein ganzes Geschwätz von Torten war metaphorisch gemeint. Es ging hier immer noch um Glauben, Religion und Spiritualität!
Und nun wünsche ich euch viel Spaß beim selber Backen!