"Bildung ist wichtig, vor allem wenn es gilt, Vorurteile abzubauen.
Wenn man schon ein Gefangener seines eigenen Geistes ist, kann man wenigstens dafür sorgen, daß die Zelle anständig möbliert ist.
"
Peter Ustinov
„Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“

Benjamin Franklin


Montag, 20. April 2009

Sprachpurismus - Deutsch pur?

Manchmal ist es schon bemerkenswert, wie das Gesamtkunstwerk, dass wir so gemeinhin Welt, Kosmos, Universum, nennen funktioniert und in einander greift. Da stolpere ich bei der Recherche zu einem weiteren Artikel in der Serie "Deutsche - Volksdefinition" in der letzen Zeit öfters über den, zum Teil sehr strapazierten Begriff Purismus, meist im engeren Sinne als Sprachpurismus gemeint.

Und heute morgen finde ich nun folgendes Zitat von Zitate-online.de in meinem Postfach:
„Wenn ein Reisender nach Hause zurückkehrt, soll er nicht die Bräuche seiner Heimat eintauschen gegen die des fremden Landes. Nur einige Blumen von dem, was er in der Ferne gelernt hat, soll er in die Gewohnheiten seines eigenen Landes einpflanzen.“ Francis Bacon


Damit meint er, dass man durchaus etwas an Kultur, und dazu gehört nun auch mal Sprache, aus fremden Ländern und Kulturen mitbringen und in seine eigene einbeziehen kann. Das Bild des "Einpflanzens" sagt es sehr deutlich.

Und er hat recht, denn eine Kultur ohne gewisse "Fremdbestäubung", um mal bei der Botanik zu bleiben, bekommt auch keine Energie von außen, befruchtet sich immer wieder selbst und wird früher oder später unter degenerative Störungen leiden und daran dann wohl irgendwann zu Grunde gehen.

Wachsen und gedeihen kann aber nur eine fremde Pflanze, die auch auf dem Boden, in dem sie gepflanzt wurde, die Voraussetzungen findet, die sie zum gedeihen braucht. Und irgendwann vergisst man dann sogar, dass dieses Pflänzchen gar nicht aus den eigenen Breiten stammt.
Alle anderen, werden zwar zuerst hübsch aussehen, vielleicht sogar wachsen und blühen, solange man sie hegt und pflegt, aber dann, wenn man der Fürsorge überdrüssig wird, eben eingehen.

Um jetzt mal wieder den Bogen zurück zu Purismus und besonders Sprach- und Kulturpurismus zu schlagen, denke sich bitte mal den Rhein ohne Weinbau, denn der kommt ursprünglich aus Vorderasien, das Wort Wein ist jedoch lateinischen Ursprungs (lat. vinum), wobei ich mir ziemlich sicher bin, dass die Römer das Wort auch aus einer anderen Sprache entlehnt haben werden, nämlich aus der Kultur, von der sie den Wein übernommen haben. (Ähem, es ist übrigens ebenfalls anzunehmen, dass auch durch die Griechen der Wein im Gallo-germanischen Raum bekannt wurde. Marsilia (Marseille) war immerhin eine griechische Handelskolonie und deren Handelspartner werden auch ihrerseits mit dem begehrten, weil in ihren Breiten seltenen, Handelsgut weiter Handel mit den benachbarten Stämmen betrieben haben.) Siehe dazu auch: Geschichte des Weines

Oder wie wäre es mit der deutschesten Beilage überhaupt, der Kartoffel? Die Pflanze kommt aus Südamerika, das Wort leitet sich vom italienischen tartufol, Trüffel, ab.

Tomate gefällig?

Und das sind jetzt nur mal drei Beispiele, weil ich hier ja eigentlich über Sprache und Purismus und eben dessen Widersinn schreibe und keine botanische Abhandlung verfassen will.

Wie man aber an den Beispielen gut sehen kann, ist es absoluter Kappes, etwas, sei es nun Sprache oder Kultur oder gar beides rein zu erhalten, was nie wirklich rein war.
Wo wollte man denn da anfangen?
Wobei gerade die Reinhaltung der Deutschen Sprache schon mal an ihrer, doch recht weiten, Verbreitung und der Tatsache scheitern würde, dass sich durch frühe Abspaltungen Sprache und Kultur sehr differenziert entwickelt haben.
Es ist nicht alles Deutsch was Deutsch spricht!
Erkläre bitte einer mal z.B. den Schweizern oder Liechtensteinern, dass sie für manche Zeitgenossen unter den Begriff "Deutsches Schutzgebiete" fallen, was nichts anderes, als eine nette Umschreibung für den Begriff "Kolonie" ist. (Tipp für Waghalsige: Laufschuhe nicht vergessen!)
Streng genommen, wenn man den Purismus auf die Spitze triebe, wären auch Niederländer und davon ausgehend mal eben so 6 Mio. Afrikaans sprechende Einwohner des afrikanischen Kontinents "Deutsche", weil eben Niederländisch wie auch Deutsch" vom Westgermanischen abstammt...

Wie gesagt, alles eine Frage, wo man mit dem "Bereinigen" (und der Definition) anfängt...

Okay, ich rege mich über einige an den Haaren herbeigezogenen Amerikanismen auch auf.
Etwas muss nicht als "hot" bezeichnet werde, weil es zur Zeit sehr begehrt ist, oder ich frage mich schon eine geraume Zeit, was denn nun ein It-Girl (engl. Frau mit dem gewissen Etwas, Tatsache, was zur Zeit unter dem Label läuft, hat "Es" nicht) sein soll.
Auch finde ich es ziemlich deppert, wenn man seinen Kindern irgendwelche englischen oder aus einer anderen Sprache entnommenen Namen gibt, zu deren kulturellen Kontext man erstens keinerlei Bezug hat und nicht einmal ansatzweise dieser Sprache überhaupt mächtig ist (upps, mein Kleiner hat einen griechischen Namen, der auf den Namens-Hitlisten immer noch ganz oben rangiert. Isch schäme misch! *g*)
Wohingegen ich durchaus sehe, dass englische Begriffe an Orten mit internationalem Publikum sehr wohl Sinn machen. Und mal ehrlich, um den Info-Point zu identifizieren, braucht man wirklich keine großartigen Sprachkenntnisse.

Klar, auch wenn ich persönlich jetzt da weniger Probleme habe, ich mag es auch nicht, wenn jemand nur so mit Anglizismen und Fremdwörtern um sich schmeißt, besonders, wenn der Kontext absolut unpassend ist.
Aber man sollte die Kirche mal im Dorf lassen.

Wenn ich nur mal eben eine Notiz verfasse, dann benutze ich ein anderes Vokabular, als wenn ich hier oder in einem Forum einen Betrag verfasse.
Schreibe ich einen Artikel, passe ich wiederum meinen Wortschatz an die Zielgruppe an. Und so halte ich, und eigentlich jeder gebildete Mensch, es auch mit dem gesprochenen Wort.
Innerhalb der Familie kann ich auch ziemlich breit Düsseldorfer Platt verzellen, im launischen Gespräch darf es auch mal "geil" und "ätzend" zugehen, im technischen Bereich nutze ich sehr viele englische Begriffe und Abkürzungen, dass ich meist erst, wenn ich mit einem DAU spreche, merke, dass die Fachsprache da dann doch wieder unangebracht ist und bisweilen benutze ich auch sehr gerne die englische Sprache, weil es eben besser passt (Beispiel: wenn ich mit einem Wort mein momentanes Befinden als "serenity" beschreibe, dann weil da eben die Gesamtheit der Bedeutung zutrifft. Das nennt man Sprachgefühl.

Von daher bin ich eben da auch Sprachpurist, wenn es sich zum Beispiel um deutsche Übertragungen (Übersetzung möchte ich das nicht nennen) von englischen Originaltexten ins Deutsche geht. Geht teilweise gar nicht.
Man nehme nur mal Filmtitel, owei, ich nenn hier nur meine zwei Lieblingsaufreger "Tomorrow never dies" (Der Morgen stirbt nie) und "Kingdom of Heaven" (Königreich der Himmel) Vom Sprachlichen zwar korrekt, aber vom Sinn, dem Sprachgefühl, her, meiner Meinung nach, völlig unzutreffend. Schlimm wenn sich das dann noch in der Synchronisation fortsetzt...von einigen Übersetzungen englischer Literatur möchte ich jetzt besser schweigen...

Ich schweife schon wieder ab...

Also, der Wortschatz passt sich je nach sozialem Kontext an, sollte es zumindest. Jeder Mensch benutzt tagtäglich viele verschiedene Varietäten seiner eigenen Sprache, Schrift- oder Literatursprache, Umgangs- oder Alltagssprache, dazu dann noch Fachsprachen für bestimmte Bereiche, darunter auch die Berufssprache, und eben die Gruppensprache.
Ungeschickt oder nervtötend wird es bloß dann, wenn man die falsche Sprache im falschen Kontext nutzt oder sich gar über diese nützliche Unterteilung vehement hinweg setzt, aus welchen Gründen auch immer.

Jetzt noch mal zu dem, von Sprachpuristen immer gern herbei gezogenen Argument, wir sind nun mal Deutsch und sollten auch Deutsch reden.

Selbst, wenn sie sich nur auf, den oben, in dem von mir verlinkten (puristisch "verknüpft") Wikipediaartikel angegebenen historisch deutschen Sprachraum (Stand 1910!) beziehen, dann darf man noch immer gespannt sein, bis wohin zurück sie die linguistische Zeit drehen wollen.
Immerhin findet man dort unter dem Abschnitt "Geschichte" doch eine nette Auswahl, von Althoch- bis Neuhochdeutsch, mit Zeitangaben.
Da wird dann Deutsch sehr schnell zur Fremdsprache.

Es ist nämlich in der Tat so, dass seit der erste sprachbegabte Mensch einem eben solchen begegnete, immer, nicht nur ein inhaltlicher Austausch stattgefunden hat, sondern auch ein sprachlicher. Sprache, die gesprochen oder geschrieben wird unterliegt einem ständigen Wandel durch Einflüssen von außen!
Das lässt sich nicht verhindern, und sollte auch nicht verhindert werden.
Und immer schon hat es Modeworte gegeben, aus allen möglichen Sprachen, deren Kultur gerade modern war.
In der Renaissance waren das hauptsächlich griechische und lateinische Wörter und Floskel, später dann französische etc. bis zu den heutigen Anglizismen.
Nur, und da komme ich wieder auf das obige Bild von fremdstämmigen Pflanzen zurück, die ohne Zutun gedeihen und eben solchen, die dazu einer intensiven Pflege bedürfen, die meisten dieser "Fremdworte" sind längst wieder aus dem Wortschatz und dem Sprachgebrauch verschwunden und dies nicht, weil sie "ausgetrieben" wurden, sondern, weil der Zeitgeist sich änderte. Sie waren nicht mehr schick, also wurden sie nicht mehr benutzt. Aber einige dieser Worte haben sich bewährt, fielen also auf nahrhaften Boden und wurden zu Lehnworten und gingen somit in solchem Maße in die deutsche Sprache über, dass man sich heute kaum noch bewusst ist, dass sie überhaupt aus einer, zum Teil, völlig anderen Sprache und Kultur stammen.
Dazu gehören dann Worte, wie Shampoo, Veranda, Punsch, Gulli, Fenster, Gitarre, Fanfare Bandit, Infanterie, Schokolade, Vanille, Flotte, Tollpatsch, Gurke, Peitsche, Bank, Alarm, Rest, Kiosk, Tasse, etc.

Ich muss zugeben, dass ich vor ca. 20 Jahren ziemlich lange gebraucht habe, herauszukriegen, was denn ein Broiler ist...dass das was mit braten und grillen zu tun hatte, war mir irgendwie klar, weil ich das englische Verb to broil ja kannte, aber who the fuck...naja, nach Öffnung der Grenze wurde es dann irgendwie klar, dass es sich hierbei um die ostdeutsche Bezeichnung für Brathähnchen handelte, nur fragte ich mich dann noch jahrelang, wieso die da drüben denn einen englischen Begriff dafür hatten, russisch hätte ich eher verstanden. Die Auflösung dazu finde ich irgendwie sehr, sehr interessant.
Würde michnur noch interessieren, ob sich die Bürger der DDR darüber im Klaren waren. Vielleicht kann hier ja einer mal aus dem Nähkästchen plaudern.

Also zusammenfassend kann man sagen,
  • jede gesprochenen, benutze Sprache unterliegt einem stetigen Wandel. Nur tote Sprachen verändern sich nicht mehr.
  • zu allen Zeiten hat es neben allen anderen Sprachvariationen auch immer eine Mode- bzw. Zeitgeistsprache gegeben. Die hat sich aber nie lange gehalten.
  • einige Worte daraus, bewährten sich im Gebrauch so sehr, dass sie über das Fremd- oder Gruppenwort zum Lehnwort wurden, dern Ursprung kaum noch im Bewusstsein ist.
  • einige Worte kamen über Handelswege und -güter zu uns
  • zurück drehen kann man die Entwicklung nicht mehr, weil man gar nicht wirklich sagen kann, wann eine Sprache überhaupt mal "rein" war. Im Falle von deutsch liegt die letzte historische Sprachstufe, auf die man theoretisch zurückgreifen könnte, bei Neuhochdeutsch, also mal so schlappe 350 bis 650 Jahre in der Vergangenheit (damals schrieb man übrigens "neu" noch "new" und "deutsch" noch "deudsch" !) und die zeitlich gesehen bekannteste Deutsche Schrift aus dem Zeitraum dürfte die Lutherbibel sein... hier kann man sich mal am Beispiel des aus Wiki stammenden "ABBILDVNG DER SCHLACHT SO BEY LÜTZEN DEN 6. NOVEMB: 1632. GESCHECHEN" ein Bild davon machen, wie sich das, etwas hundert Jahre nach Luther, so lesen würde...
  • Pflege und Schutz, wie es die Sprachpuritsen im Sinn haben, bedürfen nur Sprachen, welche im Aussterben begriffen sind. Da macht es dann durchaus auch bis zu einem gewissen Grad Sinn, wie am Beispiel des Isländischen Sprachpurismus, aber dabei muss man auch die Geschichte des Landes und ihren Status als Inselstaat berücksichtigen. Auch andere Sprachen, wie die verschiedenen Gälischen Sprachen und einige andere Minoritätensprachen werde von einigen noch gehegt und gepflegt. Nur, da wird es so sein wie mit so vielen anderen Sprachen auch, wenn niemand mehr da ist, der sie noch spricht, dann werden sie aussterben, bis eben auf die Lehnworte, die in andere Sprachen eingegangen sind.
    Mir wäre allerdings nicht bewusst, das gerade Deutsch Gefahr liefe, aus zu sterben und eine Minderheit sind wir ja nun auch nicht. Aber die Definition "bedroht" dürfte im Auge des Betrachters liegen...

Apropos Lutherbibel und Sprachpuristen:
Ich bin da gerade bei der Suche nach einem Quelltext auf eine für das Thema interessante Seite gestoßen:
"Lutherbibel.net" (keine Direktverlinkung! Copy&Paste ist angesagt!)
Bemerkenswert finde ich erstens, den Schriftzug des Seitentitels, hübsch in Schwarz-Rot-Gold gehalten, zweitens der eben so nette Spruch darunter "Wer Luther nicht versteht, versteht auch kein Deutsch!" und drittens, wohin uns ein Klick auf die unter Banner führt.
Unter anderem, wenn man auf das "Deutsch oder Welsch"-Banner mit dem Kreuz, dass man, mit viel gutem Willen als Tatzenkreuz des Deutschen Ordens identifizieren kann, aber wohl doch auch anders aufgefasst werden könnte (übrigens auch kein originär deutsches Symbol!) , auf eine Seite, die sich "Deutschtum.net" nennt, und sich eben der Reinerhaltung der Deutschen Sprache widmet.

Den Zufall, denn das war es, glaubt es mir, nenn' ich jetzt nochmal Fügung.

Schöner könnte ich jetzt auch nicht erklären, warum ich Puristen und speziell Sprachpuristen immer etwas misstrauisch gegenüberstehe.
Wie ich hier ja sehr erschöpfend dargelegt haben dürfte, besteht nämlich gar keine Veranlassung eine Sprache und insbesondere hier nun Deutsch, rein zu erhalten.
Und da ja in dem Zusammenhang immer Sprache und Kultur so gern in Verbindung gebracht werden, müsste man dann ja auch die Kultur vor äußeren Einflüssen schützen.
Da frage ich mich dann immer, mit welchen Mitteln denn?

Und da klingelt bei mir persönlich immer so eine Alarmglocke, denn wie will man denn, in einer großen, vielgestaltigen Gesellschaft, wie der Bevölkerung eines Landes, sprachlichen und kulturellen Austausch durch exogene (puristisch: von außen stammende) Faktoren wirksam unterbinden...?

Nun, und was im sprachlichen Bereich noch unter Umständen, mit Gesetzen und Bestimmungen, Sprachquotierung und dergleichen (Zwang), machbar wäre, wäre im kulturellen Bereich schlicht unmöglich. Wie will man denn sowas reglementieren und kontrollieren?
Und wer überhaupt?


Apropos:
Kamerad und Neger stammen, streng sprachpuristisch, auch nicht aus der Deutschen Sprache...Kaiser auch nicht... Grenze... Kompanie... Charakter.... Urinal ... Toilette... kotzen.... Zivilcourage...Demokratie...

Zum Schluss möchte ich noch mal den guten alten Goethe strapazieren (von wegen unsere schönen, deutschen Kultur)

„Gott Dank! daß uns so wohl geschah:
Der Tyrann sitzt auf Helena!
Doch ließ sich nur der eine bannen,
Wir haben jetzo hundert Tyrannen.
Die schmieden, uns gar unbequem,
Ein neues Kontinentalsystem.
Teutschland soll rein sich isolieren,
Einen Pestkordon um die Grenze führen,
Daß nicht einschleiche fort und fort
Kopf, Körper und Schwanz von fremdem Wort.“

Goethe: Die Sprachreiniger aus "Zahme Xenien"


Nur damit hier kein falscher Eindruck entsteht, ich finde Deutsch als Sprache wirklich schön, so man sie auch beherrscht.
Aber sie ist nur so schön und kraftvoll, weil sie sich frei und lebendig entwickeln durfte und das auch in Zukunft tun sollte.

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