Seit ein paar Monaten erarbeiten eine befreundete Psychologin und ich eine Artikel-Serie, die sich mit dem fast unüberschaubaren und sehr einträglichen Markt der Lebensberatungs-Angebote befasst. Sobald wir veröffentlicht haben (vorausgesetzt wir überleben die umfangreiche Recherche-Arbeit), werde ich eine gekürzte Zusammenfassung auch hier in meinem Blog posten.
Quasi ein Nebenprodukt davon, stellt für mich die Analyse der, in vielen spirituellen Bereichen oft anzutreffenden, Lehrer-Schüler-Konstellation dar.
Zunächst einmal vorab:
Generell ist ein spiritueller Lehrer nichts Negatives, obwohl gerade in der westlichen Welt allein schon die Konnotation des Wortes "Guru" häufig einen sehr abfälligen Beigeschmack hat. Dies mag daran liegen, dass traditionsgemäß im Hinduismus das Lehrer-Schüler-Verhältnis eine für Mitteleuropäer befremdliche Hierachie beinhaltet. Der Schüler wird dort gleichsam Diener seines Gurus und muss sich nach und nach "hocharbeiten", erhält aber im Gegenzug eben die Möglichkkeit von seinem Meister zu lernen. Diese Denkweise ist uns fremd, obwohl es im Berufsleben vielen Auszubildenden mit ihren Meistern und Gesellen heute noch ähnlich ergeht.
Andererseits, wenn man bedenkt, wie wenig Respekt Schüler ihren Lehrern - und nichts anderes sind im Kern eben Gurus und Lamas - an unseren Schulen noch entgegenbringen, und sei es auch nur, zu honorieren, dass jene sich noch die Mühe machen, trotz ostentativ geäußertem Desinteresse, Lernstoff zu vermitteln, verwundert mich diese Einstellung eben nicht allzu sehr.
Es kann ohne Frage sehr nützlich sein, von einem auf seinem Gebiet Geübteren Hilfestellung und Anleitung zu erfahren oder einfach auch nur jemand zu haben, an den man sich mit auftauchenden Fragen wenden kann. So kann eine Konstellation zwischen Ratsuchedem und Ratgebenden von großem Nutzen sein.
Im Vajrayana, dem bei uns profan als Tibetanischen Buddhismus bezeichneten, Diamantenen Fahrzeug (nicht zu verwechseln mit dem von Ole Nydahl für die westliche Welt begründeten und propagierten Diamantwegs-Buddhismus. Das ist eine ganz andere Baustelle!) ist der Lama zentraler Dreh und Angelpunkt.
Auch viele andere östliche Richtungen, wie dem im Vedanta verbreiteten System des Satsang, bevorzugen das Modell zwischen Lehrer (Meister, Guru) und Schüler.
Aber egal in welchem System, der Sinn dieser Modelle ist es, den Schüler durch das Reflektieren der Unterweisungen und der Vermittlung eventuell notwendiger Lehren durch den Lehrer zu eigenen tiefgehenden Erkenntnissen und zur persönlichen Erleuchtung, sprich des Erwachens des höchst eigenen Potentials zu führen. Hinzu kommt häufig die Vermittlung bestimmter Techniken und Kenntnisse durch den Meister, die dem Schüler auf diesem Wege dienlich sein können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Keinesfalls sollte eine solche Beziehung jedoch dazu dienen, dass sich der Schüler quasi an die Energie des Meisters "andockt", wie, zum Beispiel, ein Säugling an sein Muttertier oder meinetwegen ein Client an einen Server.
Für die Beantwortung der Frage, ob dieses Modell für beide Seite von Vorteil ist, kommt es einerseits auf die Qualität und den Charakter des Meisters an, in besonderem Maße in Bezug auf seine Motivation, andererseits auch auf den Charakter und die Bedürfnisse des Schülers. Ein guter Lehrer ist da für seinen Schüler, bietet ihm Hilfestellung, lässt ihm aber auch so viel Freiheit, damit er zu eigener Erkenntnis gelangt und nicht Gefahr läuft, die seines Lehrers schlicht zu übernehmen. Sollte dies der Fall sein, oder bemerkt er, dass es eben zu einem oben beschreibenden Andocken seitens des Schülers kommt, wird sich ein guter Meister sofort distanzieren und das zu enge Verhältnis wieder auflösen.
Immerhin gibt es Menschen, die sich nur zu gern ihrer Eigenverantwortung entledigen und in Abhängigkeit begeben und dazu neigen, Erklärungen unreflektiert zu übernehmen, nur weil sie eben von einem Meister stammen. Diese sind es dann auch, welche doch recht verblüfft reagieren, wenn der Lehrer ihnen nicht jeden Schritt vorgibt. Oft fühlen sie sich dann allein gelassen, zurückgestoßen oder vernachlässigt und wenden sich häufig enttäuscht von ihrem Lama, spirituellen Mentor oder Guru ab und werden sich eben einen Lehrer suchen, dem diese bedingungslose Abhängigkeit genehm ist. Dies hat jedoch den fatalen Effekt, dass solche Schüler unreife Meister "erschaffen", also Lehrer, die eigentlich aufgrund des Grades ihres eigenen Erkenntnisweges gar nicht in der Lage sind, Schüler zu unterweisen und somit auch den Ehrentitel Meister, Guru oder Lama zu Unrecht tragen.
Und auch diese Art von Lehrern, Gurus, Meister gibt es. Ihnen geht es weniger darum, den Schüler auf den eigenen Weg zu bringen, als vielmehr ihren Weg als allein richtig zu vermitteln und den Schüler dazu zu bewegen, diesen zu übernehmen. Und das kann auch innerhalb eines bestimmten Systems zu nicht unerheblichen Problemen für den Schüler führen.
Der Schüler darf nämlich nie dazu dienen, das Ego des Meisters zu befriedigen. Ein Meister der auf diese Art handelt, offenbart lediglich, dass es ihm an der nötigen Reife und somit an der Befähigung zum Lehren mangelt. Hinzu kommt, dass diese Lehrer auch selten bereit sind, den Schüler aus dem Verhältnis der Abhängigkeit wieder zu entlassen. Dies jedoch ist unerlässlich, wenn man bedenkt, dass Sinn und Zweck sein sollte, den Schüler ebenfalls zur "Meisterschaft" zu verhelfen.
Aber noch eine andere Gefahr lauert. Selbst wahre Meister bleiben ja Menschen und durch eine zu große Nähe zu einem Schüler, insbesondere, wenn dieser dazu neigt, den Lehrer "anzubeten" besteht die Möglichkeit, dass dieser dann die Bodenhaftung verliert und im wahrsten Sinne des Wortes einen Höhenrausch bekommt.
Etwas skeptisch stehe ich auch dem Umstand gegenüber, wenn ein Lehrer, Lama oder Guru sehr viele Schüler um sich sammelt.
Natürlich gibt es hervorragende Meister ihres Faches, bei denen es, wenn sich die Möglichkeit eröffnet, sie einmal live und in Farbe erleben und vor allem hören zu dürfen, lohnt, einen längeren Weg in Kauf zu nehmen und dann ist es auch kaum verwunderlich, wenn sich dort dann sehr viele Menschen einfinden um dieses Erlebnis zu teilen.
Jedoch, mit einem wesentlich intimeren Lehrer-Schüler-Verhältnis ist das nicht zu verwechseln. Wie soll das auch bewerkstelligt werden, wenn der Meister nach einer solchen Veranstaltung gerade mal einen kurzen Augenblick Zeit für seine Schüler erübrigen kann, wenn überhaupt?
So darf die bloße Quantität der Schülerschaft nicht als Maßstab für die Qualität eines Lehrers gelten. Ein spiritueller Ratgeber ist kein Popstar, der danach bewertet wird, ob er Hallen zu füllen vermag und Schüler können sich nicht ernsthaft damit zufrieden geben, wenn er sich nachher kurz Zeit nimmt, „Autogramme“ zu geben oder Hände zu schütteln.
Ehrlich gesagt, verstehe ich die Leute nicht, die in einem solchen Fall ernsthaft von „ihrem“ Lehrer, Lama, Guru oder sonst etwas sprechen.
Es kann doch nicht befriedigend sein, wenn man seinen Lehrer nur mit Hilfe eines Opernglases auf einer, vom eigenen Sitzplatz, weit eintfernten Bühne ausmachen zu können und ansonsten lediglich auf die von "ihrem" Lehrer verfasste Literatur zurückgreifen können.
Ich selbst besitze auch eine nicht unerhebliche Menge an Büchern von auf ihrem Gebiet durchaus überragenden Persönlichkeiten und nutze sie gern als Impulsgeber und Inspiration, aber ich käme nie auf die Idee, die Autoren als meine Lehrer zu bezeichnen, eben weil der persönliche Aspekt dabei völlig fehlt.
Aber um noch einmal auf den Aspekt der sich in Abhängigkeit zu einem Meister begebende Schüler zurück zu kommen, die dann dazu führt, dass der Lehrer das Verhältnis notgedrungen wieder normalisieren oder gar beenden muss.
Wenn man bedenkt, wie traumatisch dies teilweise für den Hilfesuchenden, der über die Disposition verfügt, sich eben an jemanden so sehr zu klammern, dass er dafür bereit ist, sich selbst völlig aufzugeben, erklärt das auch zum Teil so manches böses Nachspiel für den jeweiligen Lehrer, Meister, Guru oder sogar für die gesamte Gruppierung oder Richtung, der er angehört.
Für einen unreifen Schüler, unreif in dem Sinne, dass er dem kindlichen Bedürfnis nach einer führenden Hand noch nicht ent-wachsen ist, kann so eine "Zurückweisung" derart verletzend sein, dass sich dies in regelrechtem Hass auf den früher so verehrten "Vater" manifestiert.
Mir persönlich fallen eine Reihe von bekannten Beispielen ein, wo Schüler zum Teil namhafter spiritueller Lehrer in einen Rausch fast inzestiöser Hörigkeit zu ihrem Meister gerieten, aus dem sie nur mit größter Anstrengung wieder "entkamen" und sie hernach die Schuld lediglich beim Gegenüber suchten.
Gut möglich, dass sie auf besagte unreife Lehrer, oder gar Scharlatane, hereinfielen, deren Ziel eben die bedingungslose Abhängigmachung des Schülers war, aber eben so wahrscheinlich ist es, dass sie eben Opfer ihrer falschen Erwartungen in den Lehrer wurden und nicht verstanden, dass dieser lediglich das spiegelte, was sie seiner Meinung nach ihrerseits ausstrahlten, in der Hoffnung, sie würden daraus für sich wichtige Lehren ziehen.
In keinem noch so harmonischen Lehrverhältnis geht es eben ohne eine gewisse kritische Distanz zum Lehrer, Lama, Guru, seinen Aussagen und Lehren.
Bei aller Reife und Grad auf dem Weg zur Erleuchtung oder meinetwegen Wahrheit, sie bleiben Menschen und diese sind nicht nur individuell äußerst verschieden, sondern eben auch fehlbar. Das kann man nicht genug betonen!
Vorsicht ist meines Erachtens geboten, wenn jemand nur noch zu jedem Thema die Aussagen seines Lamas oder Meisters zum besten gibt und ihm nach dem Munde redet, zum Teil ohne sich dessen bewusst zu sein und teilweise sogar darüber die eigene Erfahrung und Erkenntnis vernachlässigt oder - viel schlimmer - sie für seine eigene Meinung hält.
"Mein Lehrer sagt dazu...." - "Mein Lama hat das so und so formuliert..." - "Mein Meister macht das aber ganz anders."
Bei solchen und ähnlichen Formulierungen in jedem zweiten Satz, muss ich mich immer stark bezähmen um den Gegenüber nicht durch zu schütteln und zu schreien: "Und was sagst DU dazu?"
Ganz zu schweigen davon, wie ermüdend es werden kann, wenn der Gesprächspartner ständig davon berichtet, was für eine tolle Nummer sein Meister doch ist, von wem er gelernt hat, was er alles so kann - levitieren, mit Toten reden, sterben und nach drei Tagen wieder auferstehen, mit Buddha Gautama persönlich Tee trinken, etc. pp.
Mag ja alles sein, aber deshalb wird aus dem Schüler nicht automatisch auch ein Superheld.
So wenig ein Schüler dazu dienen darf, das Ego des Meisters zu befriedigen, so wenig ist es Aufgabe eines Meister durch seine bloße Reputation das Ego des Schülers zu stärken.
Ähnlich sieht es aus, wenn ein Lehrer oder Guru zu viel redet und sich in weitschweifigen Monologen über seine Erfahrungen und Fähigkeiten ergeht und sich dadurch, meines Erachtens, Gehör zu verschaffen sucht.
Möglicherweise bin ich ja auf dem Holzweg, aber nach meiner persönlichen Erfahrung werden Menschen, im gleichen Maß, in dem sie auf ihrem (spirituellen) Weg bereits fortgeschritten sind, immer ruhiger, zurückhaltender und gelassener. Erstaunlicherweise scheinen sie sich selbst auch wesentlich weniger wichtig und ernst zu nehmen, als es ihnen, nach Meinung einiger Mitmenschen, eigentlich gebürt.
Tritt man dann mit einer Frage an sie heran, texten sie einen nicht zu, sondern antworten entweder sehr knapp und präzise oder aber, mit einer Gegenfrage, deren Beantwortung meist schon die Antwort auf die gestellte Frage beinhaltet.
Das mag auf Menschen, die auf eine möglichst einfache Antwort drängen, frustrierend wirken, aber es dient auch dazu, dass man, auch und gerade innerhalb eines engen Lehrer-Schüler-Verhältnisses, nicht verlernt, selbstständig und eigenverantwortlich zu denken.
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