"Bildung ist wichtig, vor allem wenn es gilt, Vorurteile abzubauen.
Wenn man schon ein Gefangener seines eigenen Geistes ist, kann man wenigstens dafür sorgen, daß die Zelle anständig möbliert ist.
"
Peter Ustinov
„Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“

Benjamin Franklin


Montag, 22. September 2008

Typisch deutsch?

Ich mache mir gerade so meine Gedanken, was nun tatsächlich typisch deutsch ist.

Einerseits, weil der Sir in unserem Forum zwei interessante Sendungen des SF über Deutsche Auswanderer in der Schweiz gepostet hat, in dem es unter anderem auch um das sehr ambivalente Verhältnis der Schweizer zu eben diesen "Gastarbeitern" geht (erhellend fand ich gerade, die eigene Nation einmal mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert zu sehen, wie bei uns im allgemeinen ja die Mitbürger mit türkischem, generell moslemischen oder einfach südländischem Migrationshintergrund.), andererseits aber, weil einem als normalem Deutschen immer von irgendwelchen angebräunten Idioten erklärt wird, dass deutschsein so wahnsinnig toll ist, um so viel besser als alles andere.

Ich reagiere dann immer etwas hilflos, denn "den Deutschen" habe ich bisher nicht gefunden, genauso wenig, wie "den Russen" oder "den Italiener" oder auch "den Heiden".

Also überlegen wir mal, welche Attribute, Assoziationen und Schlüsselworte man gemeinhin mit "Deutsch" in Verbindung bringt, im negativen, wie im positiven.

  • Als erstes fallen mir spontan Schiller, Goethe und Heine ein. Klar, "Land der Dichter und Denker" (Wobei ich zugeben muß, dass ich gerade Heine als den "deutschen Dichter" schlecht hin sehe, auch, oder gerade, weil sein Verhältnis zu Deutschland immer etwas zwiegespalten war)
  • Deutsche Gründlichkeit (teilweise bis ins perfide betrieben von den Nationalsozialisten)
  • Der Rhein (der ja de facto genauso gut Schweiz, Österreich, Niederlande, Liechtenstein und Frankreich durchfließt oder berührt. Außerdem, ich kann mir nicht helfen, aber einen Fluß als Nationaleigentum zu sehen, widerspricht meiner Mentalität...trotzdem empfand ich das Deutschland-Gefühl nie intensiver als am Rhein zwischen Koblenz und Rüdesheim.)
  • Sauerkraut, Eisbein und Schweinebraten, Bratkartoffeln und Currywurst...
  • Dirndl, Krachlederne und Schuhplattler (jedenfalls wenn man so manchem Ami glauben möchte, rennen wir alle so herum…ja, mei, sin’ mer alles Bayern?)
  • Groß, blond, blauäugig (mal ehrlich, ich hab’ in meinen bisher 42 Jahren vielleicht eine Handvoll Deutsche getroffen, auf die diese Beschreibung zutrifft. Hauptsächlich sind es doch Holländer oder Skandinavier oder noch besser, Polen oder Russen, die so "deutsch" anmuten…)
  • Krupp, Thyssen, Bayer, Henkel
  • Mercedes, BMW und Audi
  • Von den beiden obigen Punkten kommen wir zur Qualität (Immerhin, das als Warnung gedachte „Made in Germany“ wurde zu einem Gütesiegel!)
  • Friedrich der Große, Kaiser Wilhelm II. (der Enkel von Queen Victoria, mit diesem Bärtchen, welches im Volksmund „Es ist erreicht“ genannt wurde), Bismarck und auch dieser Österreicher, ich komme gerade nicht auf den Namen…Schickelhuber, genau!
  • Bier und deutsches Reinheitsgebot
  • Das Brot (ohne Scherz, wenn man Deutsche fragt, die im fernen Ausland leben, am meisten vermissen sie die große Artenvielfalt im Brotregal)
  • Beethoven und Richard Wagner
  • Bürokratismus (teilweise außerhalb jeder menschlichen Logik), Kontrollzwang, Reglementierung und Engstirnigkeit („so und nicht anders machen wir das, nur unser Weg ist richtig“ und damit verbundene geringe geistige Beweglichkeit)
  • Im Urlaub dicker Bauch, Unterhemd, Shorts, Tennissocken und Sandalen, meist in Zusammenhang mit „Deutsche sind laut“ und dieser „Hoppla jetzt komm ich“-Mentalität, die dann zwangsläufig wieder dieses „Herrenmenschen“-Problematik aufwirft. Klar, wenn man eben Kontrollzwang und Reglementierung auch nicht im Urlaub mal bleiben lassen kann. (Und fehlt es einfach an Laissez-faire)
  • Etwas darstellen, „Wir sind wer!“ (immer etwas mehr scheinen als sein, besser, reicher, erfolgreicher erscheinen als der Nachbar, obwohl es teilweise die Haushaltskasse nicht hergibt. Eben außen Hui, innen Pfui)
  • Das bringt uns zu Neid, Missgunst und zum Denunziantentum. („Man muss auch jennö könne!“ gerät dabei oft ins Hintertreffen)
  • Samstags Auto waschen (hat wohl etwas mit deutscher Gründlichkeit und Sauberkeit zu tun, aber wohl auch mit der, schon angesprochenen, Tendenz zu „mehr scheinen als sein“. Ich denke manchmal, wenn es schon innen nicht ganz sauber tickt, dann muss wenigsten der Wagen blitzen…)
  • Meckern und beklagen (Mir scheint dabei, es geht rein um das Meckern selbst, aber bloß nichts tun, weil, dann hätte man ja nichts mehr zu meckern. Mal ehrlich, wenn zum Beispiel den Franzosen etwas an ihrer Regierung nicht passt, dann rufen die zum Generalstreik auf und der findet dann auch statt. Versucht mal jemand gleiches in Deutschland…der Deutsche kriegt seinen Arsch selten hoch)
  • Vereine (quasi der Schmelztigel, in dem alle Deutschen Tugenden und Laster zusammenlaufen! Nirgends ist der Deutsche so deutsch wie in seinem Verein!)

Ich denke, je mehr man überlegt, je mehr Leute man fragt "Was verbindet ihr spontan mit „Typisch Deutsch“?" desto länger wird die Liste, und dabei überwiegen eben nicht unbedingt die positiven Eigenschaften. Wobei ich, bei genauerem Nachdenken, zu dem Schluß komme, dass es nicht die einzelnen Punkte selbst sind, z.B. Gründlichkeit oder auch der Bürokratismus, die negativ auffallen…es ist vielmehr eine Frage der angemessenen Dosierung.

Und damit komme ich zu dem Punkt, dass dies eben auch von Volksgruppe zu Volksgruppe innerhalb Deutschlands völlig unterschiedlich ist. Die Franken sind anders als die Berliner, die Westfalen und die Rheinländer könnten unterschiedlicher nicht sein, der Friese und der Holsteiner agieren völlig anders als Bayern oder Schwaben und so fort.

Ja, und was ist nun wirklich deutsch?
Außer vielleicht der Pass, wobei, nicht jeder der einen deutschen Namen hat oder deutsch aussieht und sich auch so benimmt, unbedingt auch einen solchen sein Eigen nennt, genauso wenig, wie umgekehrt.
Ist es vielleicht die gemeinsame Sprache?
Also davon bin ich nicht überzeugt. Schweizer und Österreicher, Liechtensteiner und Luxemburger gehören auch zu den deutschsprachigen Nationen, aber ich käme nie auf die Idee, sie als Deutsch zu bezeichnen (schon gar nicht, nachdem ich mir eben die eingangs erwähnte Doku angesehen habe. Mal davon abgesehen, dass sich auch innerhalb der deutschen Landesgrenzen die gesprochene Sprache, also Dialekte, sehr stark unterscheidet).
Kulturelles Erbe vielleicht? Reicht das, um aus einer Ansammlung von verschiedenartigsten Mentalitäten ein Volk zu machen?
Macht die Genetik den Deutschen, wie es uns einige Kreise weiß machen wollen?
Wieso kann dann aber ein sogenanntes Besatzungskind mit afroamerikanischem Vater bajuwarischer sein, als sein weißer Nachbar?
Wieso sprechen einige Deutschtürken ein besseres deutsch, sind sozial besser in die Gesellschaft integriert, als die urdeutsche Chantalle und der Kevin von neben an?
Kann man es sich wirklich so einfach machen mit der Volksdefinition, über die wir auch schon einmal im PaganRealm diskutiert hatten?

Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, deutsch ist meine Muttersprache, ich habe einen deutschen Pass, ich fühle mich als Rheinländer …bin ich nun typisch deutsch?
Sollen das bitte andere beurteilen.
Ich bin ich.

3 Kommentare:

  1. Ich habe selten einen so klaren und wertfreien Text zum Deutschtum gelesen. Der ist Klasse und ich würde ihn an die Zeitung schicken .....

    Ich zieh den Hut!

    AntwortenLöschen
  2. Ich danke dir für das große Lob!



    Ich denke fast, das geht "uns Deutschen" am meisten ab: Sich einmal wertfrei und distanziert zu betrachten.

    Ohne zwischen Nationalstolz und Kollektivschuld hin- und her gerissen zu werden...

    AntwortenLöschen
  3. Ein wirklich guter Text. Er hat mich dazu inspiriert mal auch mal vor der eigenen Haustür zu fegen.

    AntwortenLöschen