"Bildung ist wichtig, vor allem wenn es gilt, Vorurteile abzubauen.
Wenn man schon ein Gefangener seines eigenen Geistes ist, kann man wenigstens dafür sorgen, daß die Zelle anständig möbliert ist.
"
Peter Ustinov
„Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“

Benjamin Franklin


Montag, 8. März 2010

Das Gesetz und das große Missverständnis

Bei uns Thelemiten gibt es ein zentrales Gesetz, das da lautet:
"Tu was du willst, sei das ganze Gesetz"
"Do what thou wilt shall be the whole of the Law." —AL. I. 40
"Liebe ist das Gesetz, Liebe unter Willen."
"Love is the law, love under will." —AL. I. 57

Gemeint ist nicht, "Tu' was dir gerade in den Sinn kommt" oder "Tu nach was dir gelüstet", sondern eben, dass man seinem (wahren) Willen folgen darf/kann/soll/muss, aber eben nur, und das ist das entscheidende, bis zu dem Punkt an dem man den Willen einer anderen Person beeinträchtigt, einschränkt oder sogar verletzt. (Wir gehen davon aus, dass zwei Wahre Willen sich nie gegenseitig berühren werden, da sich das Konzept eben im Einklang mit den Gesetzen des Universums befindet. Allerdings dauert es Jahre und harte Arbeit an sich selbst, den Wahren Willen bei sich zu entdecken, hat viel auch mit Ablegen des Egos an sich zu tun und die meisten werden ihren wahren Willen wohl nie wirklich finden, allenfalls nah ran kommen. Dies aber nur der Vollständigkeit halber.)
Das alles eben unter dem Aspekt der Agape, Liebe, Hingabe, in erster Linie einmal zu sich selbst gegenüber, denn, so meine Auffassung,  nur wer gelernt hat, sich selber zu lieben, sich selbst anzunehmen, ist auch fähig, anderen mit Liebe entgegenzutreten.
Soweit so klar.


Bei den Wicca lautet es entsprechend:
"Folge dem Wiccagesetz, in vollkommener Liebe und vollkommenem Vertrauen.
Lebe und lasse leben, ehrlich nimm und ehrlich gib."
"Bide within the Law you must, in perfect Love and perfect Trust.
Live you must and let to live, fairly take and fairly give."
[...]
"Acht Worte erfüllen die Wiccan Rede - und schadet es niemand, tu was du willst!"
"These Eight words the Rede fulfill - An Ye Harm None, Do What Ye Will"
Den vollständigen Text findet man z.B. hier auf englisch und hier auf deutsch.

Das Gesetz ist, was Thelema betrifft, das einzige wirkliche Dogma die Kernaussage ( es kann eben kein Dogma sein, weil es keine allgemeingültige Wahrheit darstellt, sondern eine Möglichkeit bzw. ein Angebot darstellt. Jeder ist frei zu entscheiden, zu interpretieren, zu finden. Irgendwie verhält es sich damit so ein wenig wie die Suche nach der Frage auf die Antwort "42!" beim The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy).
Bei Wicca bin ich mir dessen nicht hundert prozentig sicher, aber eben das viel zitierten "Und schadet es niemand, tu was du willst!" ist immer hin der Kernsatz, der die gesamte Rede "erfüllt" im Sinne von "bedingen", "vollziehen" (gefühlsmäßig, für mich, eben so wie eine Unterschrift einen Vertrag rechtsgültig macht).

Beide Kernaussagen bedingen aber ein hohes Maß an Eigenverantwortung für das eigene Handeln, eben in Hinblick auf dessen Folgen für seine Umwelt und  Mitmenschen. Und zwar für alle, nicht nur für jene, die dem gleichen Glauben anhängen!

Und da wird es problematisch.
Denn, "Tu was du willst, soll sein das ganze Gesetz", oder eben "Schadet es niemandem, tu was du willst",  muss man dann auch konsequenter Weise diesen zugestehen, auch wenn sie eben nach anderen Regeln leben. Wenigsten bis zu dem Punkt, an dem sie mir ernsthaft und bedrohlich ins Gehege kommen.
Wie man sieht, ist das Leben nach dem Gesetz ein ziemlicher Balanceakt. Es ist wirklich sehr schwierig und wahrhaft harte Arbeit an sich selbst, dem niederen Instinkt nicht zu frönen und eben denjenigen nicht auf die Füße zu treten, die einfach einfach "im Weg stehen" oder so in altaeonischer Manier durchs Leben stolpern. Gebe ich offen zu. Aber, jedem Sternchen sein Laternchen. Solange er mich nicht in meinem Leben einschränkt, kann er tun, was er will.

Wie ich es häufig in einem Satz formuliere: "Wir sind göttlich, und von Göttlichem umgeben. Also muss man in dem Bewusstsein auch seiner Umwelt begegnen."
(Natürlich beeinträchtige ich meine Umwelt, durch meine bloße Existenz! Allein schon dadurch, dass dort, wo der Nickel-Stern parkt, kein Platz mehr für einen anderen Stern ist, um es mal salopp auszudrücken. Aber es ist an mir, diese Beeinträchtigung so gering wie möglich zu gestalten, indem ich eben nicht unnötig in die Existenz anderer eingreife.)

Weil eben jede Handlung Folgen hat, ist das mit dem "Schade niemanden" (to harm entspricht aber auch, jemandem verletzen oder beeinträchtigen)  aber auch eine schwierige Angelegenheit

Im Prinzip ist gerade auch das Wicca-Gesetz für mich eine selbstauferlegte Beschränkung, nämlich eben auch einmal auf etwas zu verzichten, wenn die Durchsetzung etwa bedeuten würde, dass man mit seiner Handlung jemandem absichtlich oder versehentlich Schaden zu fügt.

Ganz sicher ist weder das Gesetz Thelemas noch das Wicca-Gesetz ein Freifahrtschein dafür, einfach die Persönlichkeitsrechte anderer Menschen zu ignorieren und dann, wenn diese sich wehren, rumzujammern, dass man sich doch an das Gesetz halten würde und der andere wäre ja selbst Schuld, wenn er das nicht respektiert und schon gar nicht die Auffassung teilt.
Wie gesagt, man weiß ja, dass nicht alle den gleichen Spielregeln folgen.
Das mag man bedauern, aber man kann es ja nicht ändern und muss das einfach akzeptieren.
Und etwas, dass einem persönlich nicht als Schaden zufügen erscheint, kann durchaus für den anderen ein tiefgreifender Angriff auf die Intimsphäre und eine Missachtung der eigenen Person bedeuten. Ich kann z.B. nicht mit eben der Argumentation daher gehen und dem anderen etwas wegnehmen (materiell oder auf Gefühlsebenen), was er nach meinem subjektiven Empfinden nicht braucht, weil er da ganz anderer Auffassung sein darf.
Deshalb ist er ja kein böser Mensch.

Im Prinzip ist es doch so einfach:
Die Freiheit, die ich für mich beanspruche, muss ich jedem anderen auch zugestehen und dort, wo Freiheiten aufeinander stoßen, sich beeinträchtigen, sich behindern, ist Schluss. Ignoriere ich dies, und übertrete die Grenze, dann muss ich auch mit den Konsequenzen leben.
Bei uns heißt es "Jeder Mann und jede Frau ist ein Stern". Dringe ich selbst in den ureigenen Raum eines anderen Sterns ein, dann bin ich mit hoher Wahrscheinlichkeit derjenige, der aus der eigenen Bahn geworfen wurde, dann bin ich der Störenfried und darf mich nicht wundern, wenn ich als solcher behandelt werde.

Allerdings gibt es auch immer wieder Menschen, die zwar vorgeben, nach dem Gesetz, einerlei ob nun dem Gesetz von Thelema oder dem Wicca-Gesetz, zu leben, aber dabei eben nur die eigene Sphäre als maßgeblich betrachten, frei nach dem Motto "Ich tue was mir gefällt! Entweder fresst es oder verreckt!"
So funktioniert das aber nicht.

Der Mensch ist eben keine Insel. Sterne existieren ja auch nicht nur für sich allein, sondern ziehen sich gegenseitig an oder stoßen sich ab.
Man betrachte sich nur einmal den Himmel in einer sternenklaren Nacht, so wie gestern bei uns: Aus offensichtlichem Durcheinander all der Lichtpunkte wird bei näherer Betrachtung eine diffizile Ordnung erkennbar, aus Gruppen von allein existierenden Sterne bilden sich Sternbilder und alles zusammen ergibt einen Hauch von Ahnung von der universellen Perfektion. Jeder Stern für sich allein wäre bloß ein Lichtpunkt, aber zusammen ergeben sie ein Bild absoluter Schönheit.  Lauter "Wahre Willen" ! *g*

Und so ist es auch mit den Menschen. Allein sind wir nur ein Pickel am Hintern der Schöpfung, verloren in der Unendlichkeit des Raums. Erst durch das Miteinander werden wir zu etwas größerem, erringen wir Kraft und eine wahrhafte Existenz. Darum brauchen wir einander. Um wirklich zu sein. Nehmen wir teil am wunderbaren Tanz des Lebens. Wir sind eins, getrennt um der Liebe willen!
(Nein, ich bin gestern Abend nicht beim Nach-oben-Gucken mit dem Kopf irgendwo gegen geknallt. Und habe auch nichts "geraucht" oder einen meiner "lustigen" Tees getrunken... ;-) )

Betrachtet man sich jedoch als allein maßgeblich, und das täte man, wenn man das Gesetz so wie oben beschrieben (Friss oder stirbt) auslegt, dann brächte man sich auch um die Erfahrung, Teil des Ganzen zu sein.
Man verschlösse sich gegen all das, was draußen, außerhalb des eigenen Orbits, des eigenen solaren Systems, des eigenen Horizonts, an Inspiration, neuen Ideen und Erkenntnissen darauf wartet, entdeckt zu werden. Das Leben ist ja nicht Stagnation, sondern immer währender Wandel. Es gibt für einen Menschen nicht den Punkt, an dem er sagen kann: "So, das ist es jetzt! Ich bin fertig!", sondern er entwickelt sich doch immer weiter und was gestern noch seine Gültigkeit hatte, kann morgen schon, auf Grund neuer Erkenntnisse und Erfahrungen, seine Berechtigung verloren haben.
Auch ein Stern verändert sich ja im Laufe seiner Existenz.

Genau das tun aber einige Zeitgenossen.
Wobei, man könnte es noch entschuldigen, wenn sie keinerlei Ahnung von den Zusammenhängen haben (Könnte! Nicht muss! Es gibt auch Menschen, die noch nie etwas von Wicca oder Thelema gehört haben und trotzdem instinktiv danach leben. Habe ich auch, lange bevor ich überhaupt erfahren habe, dass dazu ein System existiert.).
Für mich jedoch absolut indiskutabel ist es, wenn eben jemand sich genau auf diese Gesetze beruft, sie als unumstößliche Basis seines Lebens betrachtet, damit auch noch hausieren geht, und sie dann gleich wieder im Klo runterspült, weil er überhaupt nicht kapiert hat, was sie eigentlich bedeuten. Es kommt nämlich gerade bei dem Schädigen weniger auf die Absicht an, sondern eben auf das Resultat. Das ist doch keine Einbahnstraße, frei nach dem Motto: "Ich wollte dir nicht bewußt schaden, also kann ich das auch gar nicht getan haben. Wenn du das trotzdem so siehst, ist das dein Problem!"
Da verkommt, meiner Meinung nach, ein wirklich guter Ansatz für das Zusammenleben zu einer puren Phrase.

Dann sollte man sich doch bitte gleich offen zur eigenen Selbstsucht oder meinetwegen auch, wenn man es philosophisch sehen möchte, zum hedonistischer Egoismus bekennen. Das wäre wenigsten ehrlich. Aber nein, man hegt dann immer noch den Anspruch, etwas Besonderes zu sein, weil man denkt, man hätte die Aussage verstanden, nur eben die anderen nicht.Und weil man eben so besonders ist, wird man nicht verstanden, oder, schlimmer noch, würde man den Neid der anderen auf sich ziehen und denkt, dies wäre der Grund, warum man ständig Probleme bekommt.
(Das ist kein philosophischer oder spiritueller Weg, das ist schon eher verdammt nah an einer Persönlichkeitsstörung!)

Klar, man kann nicht immer alle Aspekte seiner Handlungen berücksichtigen, dafür müsse man ja Hellseher sein. Also passiert es immer mal, dass man jemandem auf die Füße tritt. Dann sagt man eben "Pardon!" (und meint es auch so!) und steigt da wieder runter. Das sollte aber die Ausnahme und nicht die Regel werden. Immerhin wird man ja aus Erfahrung klug, und spätestens nach dem zweiten mal sollte man in etwa wissen, wie es zu dem Zwischenfall kommen konnte.

Wenn also ein Mensch ständig mit seinem Verhalten aneckt, wenn er durch sein Verhalten andauernd Probleme mit seiner Umwelt hat, sollte er die Ursache vielleicht einmal bei sich suchen, anstatt bei seinen "bösen" Mitmenschen.
Bei der Fehlersuche nach dem Ausschlussverfahren sucht man ja auch nach der einzig stetigen Konstanten. Und die ist man bei andauernden zwischenmenschlichen Problemen meistens selbst.

Ein immer wieder vorgebrachtes "Ich bin eben wie ich bin, und das ist ganz toll!" verliert auf die Dauer auch seinen charmenten Reiz.

Jeder ist seines Glückes Schmied. Und bei allem Verständnis für Individualismus und selbstbestimmende Lebensweise, ab und zu sollte man sich auch vor Augen führen, dass es immer so aus dem Wald herausschreit, wie man hineinruft.

Hermetisch ausgedrückt: "Jeder Wirkung hat ihre Ursache!"

Oder, wie es bei den Wicca heißt: "Denk immer ans Gesetz der Drei: Du kriegst stets, was du gibst, ob's dir gefällt, ist einerlei"

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