"Bildung ist wichtig, vor allem wenn es gilt, Vorurteile abzubauen.
Wenn man schon ein Gefangener seines eigenen Geistes ist, kann man wenigstens dafür sorgen, daß die Zelle anständig möbliert ist.
"
Peter Ustinov
„Wer die Freiheit aufgibt um Sicherheit zu gewinnen, der wird am Ende beides verlieren.“

Benjamin Franklin


Dienstag, 10. August 2010

Begegnung mit "Gottes Hausmeister"

Ich möchte euch von einer kurzen Begebenheit Anfang Juli erzählen.

An diesem Sonntag waren meine Tochter und ich nach Köln zur CSD-Parade gefahren, hatten sie uns angeschaut und liefen danach kreuz und quer durch die Stadt, schauten uns die verschiedenen Stände und Attraktionen an, kühlten unsere Füße in einem Brunnen nahe des Domes, als ich plötzlich meinte, wir sollten einmal hineingehen.
Ich mag zwar die äußere Energie des Domes, der wie ein riesiger, bedrohlicher Schatten auf dem Platz liegt, nicht besonders, allerdings wirkt nach meinem Empfinden im Inneren etwas ganz anderes.

Gesagt getan. Hier muss ich kurz erwähnen, dass es an dem Tag wirklich unglaublich heiß war. Darum hatte meine Tochter irgendwann ihr Shirt ausgezogen und lief von da an nur in einem Bikinitop und ihren Shorts herum.

Wir also hinein, Energie tanken.
Wäre ja sehr schön gewesen...
Denn fast sofort schoss ein erboster Domschweizer auf meine Tochter zu, und "bat" sie, sich doch etwas überzuziehen. Es ginge doch nicht, in so einem Aufzug in das Haus Gottes zu kommen. Ehrlich gesagt, es machte den Anschein, als würde der alte Herr sich jeden Moment ans Herz greifen und tot umfallen.
Mein erster Gedanke war eigentlich nur "Ups!"
Vom Kopf her ist mir natürlch klar, dass man so wie meine Tochter gemeinhin nicht in eine Kirche geht. Religiösen Empfindungen anderer Glaubensrichtungen versuche ich nach Möglichkeit respektvoll gegenüber zu treten, wie ich auch unterschiedlichen kulturellen Bräuchen meinen Respekt zolle. Ich latsche ja zum Beispiel auch nicht mit Schuhen in eine Moschee oder ähnliches.
Aber das war nicht der Punkt, der mich wirklich beschäftigte.

Während meine Tochter also, Mord im Blick, in der Tasche nach ihrem T-Shirt grub und es anzog - wobei der Domschweizer noch Glück hatte, denn das erste, was sie griff, war das "Stolz bewegt"-T-Shirt, welches wir uns am Stand der Kölner Aidshilfe besorgt hatten und nicht, das, welches sie ursprünglich trug, mit Aufdruck "Devil inside"! ^^ - dachte ich darüber nach, wie weit ich doch von einer Auffassung wie der, seinen Körper als sündig und vor Gott, YHVH oder der Göttlichen Energie, wie immer man das nennen möchte, verstecken zu müssen, entfernt bin. Sie ist schicht aus meinem Kosmos verschwunden. Nicht existent.
Entschuldigung, im Verlauf der Gnostischen Messe sitzt unsere Priesterin irgendwann nackt auf dem Altar, transformiert zur Göttin, der Weiblichkeit schlechthin.

Meine Tochter knallte dann, nachdem sie sich "züchtig" bedeckt hatte, auch noch in Richtung auf den Ordner die sehr weise und inhaltlich völlig korrekte Bemerkung heraus, "Gott" habe sie ja wohl auch nackt erschaffen und nicht angezogen.

Sei's drum, den alten Herren wird man nicht mehr zu tieferer Erkenntnis bewegen können und muss man ja auch nicht. Er hat es mal so gelernt und es für sich als richtig angenommen und wohl nie hinterfragt. Bedauerlich, aber nicht zu ändern.

Wir gingen noch kurz durch den Dom, aber die Stimmung war dahin. Allerdings beobachtete ich die Massen von Touristen, die zum Teil laut redend und Fotos knipsend durch den Dom liefen und fragte mich, wie es denn um deren religöse Einstellung zu der Energie, die dort zu Hause ist, bestellt wäre.

Ich war auch nicht verärgert über den Domschweizer. Einfach nur nachdenklich und...ja...traurig.

Nachdem ich die Begebenheit fast wieder vergessen hatte, geht mir seit einigen Tagen im Kopf herum, was geschehen würde, wenn ein Christ, gekleidet wie meine Tochter an diesem Tag, vom tiefen Bedürfnis nach spirituellem Trost auf Grund irgendeiner aktuellen Seelenqual den Dom beträte?
Man sucht sich ja nicht unbedingt aus, wann man dringend Hilfe braucht und richtet sich somit kleidungstechnisch darauf ein. Oder möglicherweise handelt es sich bei der Kleidung, die man gerade trägt, wortwörtlich um das "Letzte Hemd".
"Dem Ort angebrachte Kleidung" ist nämlich nicht nur Auslegungssache, sondern muss man sich auch erst einmal leisten können.
Kleidungsvorschriften sind, meiner Meinung nach, nur in soweit tragbar, wie sie die Ausübung der religiösen Empfindung des Gläubigen unterstützen und nicht behindern.
Es mag ja angehen, dass man sich zum sonntäglichen Gottesdienstbesuch, oder zu jeder anders gearteten sakralen Tätigkeit, in den besten Staat wirft, allerdings sollte man sich dabei fragen, ob man dies nun zu Ehren der Entität, der man huldigt tut, und wenn es sich dabei um sich selbst handelt, oder der Leute wegen.
Wenn ich zur Messe fahre oder selbst eine zelebriere, schrubbe ich mich unter der Dusche auch vorher von Kopf bis Fuß. Aber das ist mein "Dogma", ich tue dies, weil ich es so empfinde und weil es für mich unmittelbar zu der Haltung bezüglich der Handlung selbst dazu gehört. Aber ich weiß auch, dass es eben nicht notwendig ist und es notfalls auch ohne "Äußere Form" geht.

Ich muss auch an den gefolterten, bis auf das Lendentuch nackten, zum Sterben aufgehängten Mann denken, der einen so wichtigen Aspekt christlichen Glaubens auszumachen scheint. (Komisch eigentlich, dass sie YHShH hauptsächlich in dieser Form verehren und nicht als den Zimmermann und Rabbi, als der er gelebt und gelehrt hatte, oder eben in seiner "erfüllten" Gestalt als fleischgewordener Gott, in die der er "wieder auferstanden" ist. Muss ja nicht unbedingt "Kumpel Jesus" sein, aber ich denke mal, dass hätte der Lehre an sich eine andere, positivere Sichtweise beschert. Ja, Gnosis ist doch was feines...^^).
Aber zurück zu dem gequälten Jeshua in "Unterwäsche".
Ich bin jetzt mal sehr zynisch, aber ich kann mir ziemlich genau vorstellen, was so ein Domschweizer, der ja im Prinzip nichts anderes als einen Hausmeister und Hilfsordner darstellt, tun würde, wenn eben ein solcher Mensch in die Kirche getorkelt käme...

Mal ehrlich, die Schweizer sollten sich bitte darauf beschränken, darauf zu achten, dass niemand im Dom seine Notdurft verrichtet, meinetwegen auch Taschendiebstahl verhindern, die Touristen bespaßen oder während der Messe für Ruhe sorgen, aber es darf nicht ihre Aufgabe sein, vom äußeren Anschein auf die innere Haltung zu schließen.
Was  jedoch gottgefälliges Benehmen anbetrifft, hm, sollten sie die Entscheidung doch dem Boss (nein, nicht dem Papst!) überlassen.

(Der springende Punkt bei der Sache mit dem Garten Eden und der Nascherei am Baum der Erkenntnis ist ja der, was man dann nun mit der gewonnenen Erkenntnis macht.
Bei manchen reicht es eben nicht weiter als zu einem "Ich bin nackt!" Wobei das für sich genommen ja eigentlich eine philosophisch wie spirituell sehr tief gehende Erfahrung wäre, wenn der nächste Gedanke nicht wäre, die Blöße nur ja schnell zu bedecken.
In Wirklichkeit geht es nach meiner Auffassung bei ganzen Episode inklusive dem Nachfolgenden Rausschmiss aus dem Paradies jedoch darum, selbst Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen ohne wenn und aber, im Gegensatz zu einem sorgenfreien, aber auch recht eintönigen  Leben in Abhängigkeit. Frei nach dem Motto "Ihr seid soweit euch über meine Anordnungen hinweg zu setzen, dann seid ihr auch soweit, selbst für euch zu sorgen!")


Wie meine Tochter sagte,  die Energie, der man im Dom ein Zuhause eingerichtet hat (oder, mal ganz fies, dort einzusperren versuchte) weiß, wie wir aussehen, innen wie außen, und ich bin überzeugt davon, der wäre es auch egal, wenn man da völlig nackt im Mittelgang stehen würde. Die ist nämlich so alt, dass sie kaum etwas aus der Ruhe bringen könnte. Wieso auch, gibt es was ehrlicheres, ursprünglicheres als einen völlig unbekleideten Menschen?

Mit dem Gottesbild der Bibel hat sie, meines Erachtens, ohnehin sehr wenig zu tun. Die Menschen erschaffen sich die Erscheinungsform ihrer Gottheiten allerdings auch zu einem Gutteil selbst. Anscheinend brauchen einige davon immer noch einen furchteinflößenden, rachsüchtigen, lustfeindlichen und rigide auf die Gebote pochenden HERRN oder derer mehrere, weil sie ohne Furcht nicht zu wahrem Glauben fähig wären.
Und das beschränkt sich nun leider nicht nur auf die Anhänger der abrahamitischen Religionen.